Arthur Geiss der deutsche Meisterfahrer der Leichtgewichtsklasse
Es war gar nicht so einfach, ein Interview mit Arthur Geiss zu arrangieren!
Nicht deshalb etwa, weil Geiss vielleicht "Star Allüren" eines prominenten
Motorsportsmanns hätte, oder sich hinter einer gewissen Unnahbarkeit verschanzte −
im Gegenteil: er ist der bescheidenste und liebenswürdigste Mensch von der Welt,
der sich sogar herzlich freut, wenn man einmal mit ihm die Geschichte seiner
Motorsportlaufbahn und − erfolge rückschauend durchgeht. Was es so schwer machte,
einmal ein Plauderstündchen mit ihm zu verbringen, ist einzig und allein sein chronischer
Zeitmangel!
Nun, was er mir nicht erzählen konnte, als ich ihn in seines Bruders Reparaturwerkstatt
in Pforzheim zum ersten Male aufsuchte, wo er gerade einen Motor auf der Werkbank
verarztete, während alle paar Minuten ein anderer "eiliger" Kunde von ihm persönlich
bedient werden wollte, das berichtete er mir gelegentlich eines weiteren Sonntagsbesuchs
in seinem wohnlichen Heim, fernab der Stadt, im idyllischen Nagoldtal.
Geiss ist heute 28 Jahre alt. Sein Elternhaus stand in Hockenheim bei Schwetzingen.
Doch schon als 18jähriger trat er in das Pforzheimer Geschäft seines Bruders Wilhelm
ein (der übrigens Kraftradreferent des ADAC, Gau XIII, ist), einer Reparaturwerkstätte,
die ursprünglich nur für Motorräder spezialisiert war, heute natürlich auch als
Autowerkstätte einen besonderen Ruf in Pforzheim genießt.
Es liegt auf der Hand, dass der tägliche Umgang mit Motorrädern aller Fabrikate und
Stärken in Geiss sehr bald den Wunsch wach werden ließ, selbst eine Maschine zu steuern
und sein Können als Fahrer zu versuchen. Als "begünstigend" kam noch hinzu, dass der
deutsche Motorradsport gerade in den Jahren 1921/22 einen mächtigen Aufschwung erlebte
und jeder mittelgroße Klub im ganzen Reich es für eine Ehrensache hielt, wenigstens ein
Rennen im Jahr selbst aufzuziehen. Was Wunder also, dass Arthur Geiss bei der damaligen
Hochflut von Motorsportwettbewerben die erste beste Gelegenheit wahrnahm, um auch einmal
an den Start zu gehen?!
Das Bergrennen Pforzheim-Huchenfeld, "an der Pforte des Schwarzwalds", wie es genannt
wurde, brachte Geiss sein erstes Debut als Rennfahrer und zugleich auch seinen ersten
Erfolg auf einer Halbliter-NSU mit V-Form-Zylindern. Jetzt war der junge Sportsmann in
ihm erwacht, und Geiss ging auf jeden nur erreichbaren Wettbewerb in der Umgebung
Pforzheims und im Badener Land, soweit ihm das Zeit und Mittel erlaubten und sofern er
gerade eine einigermaßen schnelle Maschine zur Verfügung hatte. Das Herrrenalber Turnier
mit Bergrennen auf dem Dobel brachte ihm bereits den Erfolg der drittbesten Zeit des Tages.
Beim Wildpark-, Kniebis-, Mannheimer Dreieck- und Schriesheimer Rennen bei Heidelberg
errang er 1922 und 1923 weitere Trophäen, obwohl er gegen wirkliche Größen des damaligen
deutschen Motorradsports, gegen Reich-München auf BMW, Bauhofer-München auf Megola,
Scherer-Kochendorf auf NSU, Mahlenbrei-Stuttgart auf Victoria, Motz-Konstanz auf engl.
Triumph und andere "Kanonen" keinen leichten Stand hatte. Denn er fuhr ja auch damals
noch nicht eine bestimmte Marke, nach der NSU setzte er sich eine Zeit lang auf eine
Wimmer wechselte dann auf eine AJS hinüber und steuerte dann wieder eine Garelli.
Die DKW-Maschine lernte Geiss erstmalig bei der Deutschlandfahrt 1925 kennen und schätzen.
Zwei Jahre später, als die Zschopauer Motorenwerke sahen, dass der junge Pforzheimer
hervorragend gut fuhr, stellten sie ihm eine 175er Spezialmaschine zur Verfügung, mit
der er in kurzer Zeit so verwuchs, dass er regelrecht von Erfolg zu Erfolg eilte und
bald in seiner Kategorie als kaum besiegbar galt.
Nachdem er sich in Deutschland beim Solituderennen, beim 24-Stundenrennen auf der
Opelbahn und beim Nürburgring-Eröffnungsrennen endgültig einen großen Namen geschaffen
hatte, machte er sich auch im Ausland durch seine Siegeserfolge beim Kilometer Iancé in
Basel, beim Chaumont- und Klausenpaß-Rennen bestens bekannt. Seit 1927, wo er sich auch
den Titel eines deutschen Motorrad-Straßenmeisters erstmalig sicherte, waren nahezu alle
seine Starts erfolggekrönt. Unmöglich, hier ein lückenloses Verzeichnis all seiner
Motorradsport-Triumphe wiederzugeben, die er in Deutschland und im Ausland seitdem
erstritt, und die in die Hundert gehen. Nur ein paar ganz große Leistungen seien erwähnt:
sein Sieg beim Freiburger Bergrekordrennen 1928, wo er mit seiner schwachen 250ccm-DKW
die drittbeste Motorradzeit des Tages erzielte, seine Großerfolge beim italienischen
Monza-Rennen und bei der Ungarischen Tourist-Trophy im gleichen Jahre, sowie sein
Avussieg von 1928, bei dem er einen Gesamtdurchschnitt von 120 kmh erzielte,
Königsal-Jilowischt, Ungarische TT, Großer Preis von Deutschland, kurz, alle ganz
großen und schwierigen Konkurrenzen der letzten Jahre sahen immer und immer wieder
Geiss unter den Besten. Erst im letzten Jahr errang er zum zweiten Mal den Titel eines
deutschen Straßenmeisters für die 250er Kategorie, und im Herbst 1930 verlieh ihm für
sein hervorragendes sportliches Können der ADAC die höchste Auszeichnung, die er für
den deutschen Motorsportsmann zu vergeben hat, das goldene Sportabzeichen.
Geiss ist Rennfahrer von höchster Qualität. Er treibt den Sport um des Sportes willen
und zeigt sich auch in der Beschränkung als Meister. Er weiß ganz genau, dass er mit
Viertelliter-Maschinen nie den Haupterfolg eines Rennens, die beste Zeit des Tages
erzielen kann, sein Sport ihm also auch niemals viel "einbringen" wird. Aber er lässt
sich nicht verleiten, es einmal mit schwereren Maschinen zu versuchen, weil er die
Grenzen seiner rein physischen Fähigkeiten genau abzuschätzen weiß. Er ist ein Fahrer,
der absolut mit dem Kopf fährt. Und das hat sich bewährt: bis auf einen einzigen Sturz
beim Nürburgringrennen 1930, bei dem er mit ein paar Schürfwunden an Nase und Kinn
davonkam, hat er (toi, toi, toi!) noch nie einen einzigen ersten Unfall gehabt. Und
auch Maschinenschäden haben ihn eigentlich selten außer Gefecht gesetzt, kein Wunder,
denn er ist ja Motorenfachmann erster Klasse und baut sich seine Rennmaschinen in seiner
Pforzheimer Werkstatt selbst zusammen, frisiert sich seine Motoren, wie er sie braucht
und weiß also immer genau, was in seiner DKW "drinsteckt".
Dass Geiss neben anstrengender Berufsarbeit in seiner und seines Bruders
Reparaturwerkstatt und neben seiner eifrigen Betätigung als Sportsmann auch noch
Zeit fand, eine Familie zu gründen − er ist seit vier Jahren braver Ehemann und Vater
von drei strammen Kindern −, dass er es als höchstes schätzt, mit den Seinen in Gottes
freier Natur seine seltenen freien Sonntage zu verbringen und mit Begeisterung dem
Angelsport zu huldigen, rundet das Lebensbild des Menschen Arthur Geiss zu einem
vollendeten Ganzen. Ein Mann auf den der deutsche Motorradsport stolz sein kann!
Alex Büttner
Quelle:unbekannt, 1931
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