Interview mit Arthur Geiss und Adolf Rosenberger
Zwei Pforzheimer aber, deren Name nicht nur in der engeren Heimat, sondern weit über
die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus auf den großen Rennstrecken Europas iin den
frühen 30er Jahren einen guten Klang hatten und im Motorsport sogar Weltberühmtheit
erlangten, verdienen hier ganz besonders erwähnt zu werden:
Arthur Geiss und Adolf Rosenberger.
Arthur Geiss, der heute eine Tankstelle und Motorrad-Reparaturwerkstätte in Zaisersweiher
besitzt, habe ich besucht:
"Herr Geiss! Sie haben auf der Pforzheimer Rennstrecke ihr Debut als Rennfahrer
gegeben. Können Sie uns erzählen, wie Sie zum Rennsport kamen?"
"Ja! Ich kam durch meinen Bruder Wilhelm Geiss zum Rennsport. Er hat mich als
Motorradspezialist in den Jahren 1920-32 eingestellt. Mein Bruder stellte mir eine
500er NSU zur Verfügung. Damals im Jahre 1923, als das Pforzheimer Bergrennen zum
ersten Mal gefahren wurde, da habe ich diese Maschine als Privatfahrer zum ersten
Mal an den Start gebracht und hatte natürlich schwer zu kämpfen gegen die Fabrikfahrer
Maier und Bauhofer usw., die alle mit Fabrikunterstützung Rennmaschinen fuhren, die
damals schon von einer Fabrik speziell für Rennen hergestellt wurden."
"Haben Sie dann alle in Pforzheim stattgefundenen Rennen mitgefahren?"
"Ja, ich habe alle Rennen mitgefahren damals."
"Welche Geschwindigkeiten haben Sie auf dieser Strecke gefahren?"
"Untenrauf vom Start weg bis zu 80, 90 km. Dann an der Hoheneck vorbei, da geht es etwas
eben, nicht wahr, fällt sogar etwas in die Kurve rein dort, ganz leicht, wie ich mich
noch erinnere, da steigt die Geschwindigkeit schon auf 95 -100 km."
"Ich wundere mich, wie gut Sie sich an die Strecke erinnern."
"Obwohl das schon 35 Jahre zurückliegt, kann ich mich noch gut erinnern. Es wäre für
mich kein Problem, da hinauf zu fahren, jede Kurve genau wie damals zu fahren und zu
schalten. Was ich einmal gefahren habe, das weiss ich. Man hat ja auch trainiert und ist
nicht nur einmal, man ist zehnmal oder mehr raufgefahren, um die Strecke genau zu
kennen und jede Sekunde rauszuholen."
"Nun, Herr Geiss, wie sind Sie dann zum "großen" Rennsport gekommen?"
"Damals hatte mein Bruder in Pforzheim die DKW-Vertretung, und da war der Generalvertreter,
Herr Theodor Löbe, in Karlsruhe. DKW beschickte seinerzeit die Deutschland-Rundfahrt und
suchte einen Fahrer für die 125-ccm-Klasse. Durch mein Fahren bei Rennen war ich im
badischen Land bekannt. Da kam der Theodor Löbe herüber nach Pforzheim und hat gefragt,
ob ich für DKW starten wollte. Er hat mich dann zu der Deutschland-Rundfahrt 1925
verpflichtet. Damals war der Start in Köln, und es ging dann über Ludwigshafen, Pforzheim,
Stuttgart nach Nürnberg, Breslau. Von Breslau über Rostock nach Kiel, Dortmund und
wieder nach Köln. Das waren wohl 6 oder 8 Etappen. Es waren damals 180 startende
Fahrzeuge und von diesen sind drei Fahrer strafpunktfrei ans Ziel gekommen. Das war
der Brudes auf Viktoria, der Bauhofer auf BMW und meine Wenigkeit auf DKW."
Herr Geiss zeigte mir dann eine Fotografie, die während dieser Fahrt vor dem Pforzheimer
Bahnhof aufgenommen wurde, als die Pforzheimer Motorsportfreunde 'ihren' Arthur Geiss
auf der Durchfahrt begrüßten. Da sieht man Herrn Scheid, Vorstand vom Motorradclub,
Herrn Vogel, Herrn Gillon, Herrn Kern und viele andere begeisterte Anhänger des
Motorradclubs.
Auch Kurt Geiss, der heutige Ralley-Fahrer, ist als vier- bis fünfjähriger Bub ebenfalls
auf dem Bild zu sehen, wie er seinen großen Onkel begrüßt. Dann erzählt Arthur Geiss
weiter:
"Durch diesen Erfolg bei der Deutschland-Rundfahrt 1925 wurde DKW auf mich aufmerksam
und hat mich dann später für Rennen verpflichtet. Zuerst als Fabrikfahrer bin ich nur
zeitweilig Rennen gefahren. Ich habe auch noch andere Tätigkeiten daneben versehen.
Später habe ich nur noch Rennen gefahren und war bei festem Gehalt angestellt. Diese
Laufbahn als Berufsfahrer habe ich im Jahr 1934 eingeschlagen."
"Das war, als Mercedes seine Silberpfeile und Auto-Union seine Wagen mit Heckmotoren
auf die Rennstrecken der Welt brachte, die große Zeit des Bernd Rosemeier, eines Rudolf
Caracciola und wie sie alle geheißen haben."
"Jawohl! Ich habe damals eine Nachwuchsprüfung mitgemacht im Auto-Union-Rennwagen. Ich
sollte auf Grund meiner Erfolge − ich war damals mehrmals Deutscher Meister und
anschließend Europameister in der 250 ccm Motorradklasse − in den Rennwagen überwechseln
und habe dann auf dem Nürburgring diese Nachwuchsprüfung mitgemacht. Aber immer
wieder scheiterte das Ganze an meinem geringen Körpergewicht beziehungsweise an meiner
kleinen Figur. Der Wagen hat damals 300 PS gehabt und wog 750 kg. Also das war eine
Sache, das kann man als einmalig bezeichnen. Wer da nicht drinnen gesessen und drin
gefahren ist, der macht sich gar kein Bild, was das heißt! Wenn man im ersten Gang
angeschoben wurde von den Monteuren und ein bisschen zuviel Gas gegeben hat, dann
hat's einen direkt auf dem Platz rumgedreht. So einen rasanten Anzug hatte dieses
Fahrzeug. Ich habe mir damals schon sämtliche Filze ins Kreuz reinpacken lassen,
damit ich an die Pedale, Kupplung, Bremse und Gas vorlangen konnte; denn der Gasweg
war besonders weit bei diesen Rennwagen, weil man dadurch erreichen wollte, dass der
Fahrer nicht zu schnell Gas gibt, weil ihm das zum Verhängnis geworden wäre. Aber,
wie gesagt, zum Zug kam ich nicht, weil ich zu klein war. − Was hier mein Nachteil war,
das war auf der 250er-DKW mein Vorteil. Die 250er-DKW lief damals so zwischen 165-170
km in der Stunde.
Wir haben ja auch noch Weltrekorde gefahren, und zwar auf der Strecke Frankfurt-Darmstadt,
wo der Bernd Rosemeier verunglückte und auch Caracciola fuhr. Da war extra vom ADAC eine
Rekordwoche angesetzt, zu der die Autobahn auf bestimmte Zeit vollkommen gesperrt wurde,
und da habe ich damals den Weltrekord gefahren mit der 250er-DKW und mit der 125er-DKW
und erreichte damals 185 km/h."
Herr Geiss zeigte mir viele Bilder.
"Das ist eine Spezialmaschine, die wir damals gefahren haben, halbverkleidet. − Dies
ist die Internationale 6-Tagefahrt, die Fahrer Kluge, Winkler und ich. Hier eine 250er. −
Da hatten wir damals die Silbervase gewonnen."
"Nun, Herr Geiss, Sie haben also auf allen Rennstrecken Europas gefahren?"
"Ich habe gefahren in Italien auf der Monzabahn, als ich noch in Pforzheim wohnte. Das
war mein erster Großer Preis, den ich gefahren habe. Da fuhr ich von Pforzheim aus hin,
im Jahre 1927, und gewann ihn auch mit einem Durchschnitt von 119 km und einer schnellsten
Runde von 120 km. Ich fuhr dann noch in Sizilien. Der Nürburgring kam dann in den Jahren
1927/28 auf, und zwar gewann ich dort das Eifelrennen. Im Jahr 1929 lag ich ganz glänzend
im Rennen und habe in der ersten Runde schon an erster Stelle gelegen, schied aber damals
auch wieder durch zu forsches Fahren, bei einem Sturz, aus, dessen Folgen sie noch hier
an meiner Nase sehen. Dann in Assen, die bekannte Rennstrecke in Assen/Holland. Das
war damals der erste Erfolg in dieser Klasse gegen die Engländer. Die Holländer waren
damals restlos begeistert durch meinen Sieg, denn sie hatten buchstäblich darauf gewartet,
dass ein anderer die Engländer schlägt.
Wir sind dann gefahren in Schweden, in Polen, in der Tschechoslowakei. Dann sind wir
runter gekommen nach Ungarn, dann die Schwabenbergrennen in Ungarn. Dann in Österreich,
in Jugoslawien, in der Schweiz, dann in Spanien, Barcelona, Großer Preis, den ich gewonnen
habe, dann in Irland der Große Preis von Europa." −
"Die Idole der deutschen Jugend, Rosemeier, Stuck, Caracciola, haben Sie die
persönlich gekannt?"
"Ja, der Rosemeier, der war zunächst bei uns im Werk als Motorradfahrer. Wir haben
zusammen in einem Zimmer gewohnt, und der Bernd Rosemeier, das war ein Duzfreund von
mir. Wir haben zusammen trainiert und sind jeden Tag ins Werk rausgefahren."
"Rudolf Caracciola haben Sie auch persönlich gekannt?"
"Caracciola, ja freilich,... denn wir waren zusammen im gleichen Jahr Europameister."
Leider ist es mir nicht möglich, das hochinteressante Gespräch mit Herrn Geiss
vollständig wiederzugeben. Er erzählte mir mit glänzenden Augen aus seiner großen zeit.
Er erzählte mir von Ernst von Delius, von Lang, Hasse, Nuvolari und Fangio, der ganzen
großen Elite der damaligen Rennfahrergeneration, - von den ersten Solitude-Rennen...
"...da fuhr man noch von Heslach rauf zum Schloß Solitude. Damals fuhren die alten
Mercedesfahrer Salzer, Wörner und Rosenberger, der Pforzheimer. Der Rosenberger Adolf
war ein ganz fairer Sportsmann...."
In: Das Automobil, 1958
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