Arthur Geiss
Deutschlands erfolgreichster Motorrad Rennfahrer 1935
Plaudert mit Wolfgang Wanderer
Adelsberg, wo die hübschen Einfamilienhäuschen stehen, die sich da Arthur Geiss und sein
Freund Walfried Winkler gebaut haben, liegt ausgangs Chemnitz auf der Straße nach Zschopau. Ein kleiner
Seitenweg führt hinüber und am Gartentor erwartet uns schon unser Gastgeber, der aus Verzweiflung
einen Spaten in der Hand hat, um damit die Lebensbedingungen der Stachelbeerbüsche etwas zu verbessern.
Freudiges Willkommen wird uns geboten. Herr Werners von der A.U. Presseabteilung macht
mich mit der Frau des Hauses bekannt, der immer liebenswürdigen und strahlenden Gattin
unseres Freundes und "Opfers", wir treten in ein behagliches, wohnliches Zimmer, über
dessen Ruheecke in leuchtendem Rot die Siegerwimpel der letzten Jahre hängen und bald
sind wir "mitten mang" − in der Moselspätlese, die die Mutti aus dem Keller geholt hat.
Dann kommt sogar noch mehr "Besuch": Walfried, Freund und getreuer Nachbar, macht seine
Aufwartung. Diesmal nicht um mit Arthur die Vergasereinstellung zu besprechen, sondern
ganz einfach, weil er den "Schoppen" gerochen hat. Er wohnt gleich nebenan und der
"Reporter hinter Motoren" wird in aller Kürze auch dort einmal zwischen Tür und Angel
erscheinen.
Heute gilts, Arthur Geiss, den Europameister, den Deutschen Meister, ja, den mit Rudolf
Caracciola zusammen erfolgreichsten deutschen Motorsportsmann des letzten Jahres, einmal
auszukundschaften. Und er gibt gerne Auskunft.
Jeder Rennfahrer beginnt oder begann gewöhnlich mit einer ganz alten Klamotte, auf die
er sich zumeist unbefugterweise eines schönen Tages schwang, ohne behördliche Erlaubnis,
ohne Führerschein, aber wohl mit dem Segen des heiligen Christophorus...
Wie war das eigentlich bei Ihnen, Herr Geiss?
- Bei mir fing es genau so an, denn auch ich startete kurz nach der Schulzeit
erstmalig auf einer NSU, von meinem Bruder, der damals eine Reparaturwerkstätte führte,
die ich natürlich ohne sein Wissen, einfach entwandte. Damals war ich noch im
Lausbubenalter von 16 Jahren, wurde aber mit der alten Maschine die selbstverständlich
ohne alle Schikanen war, sehr gut fertig und verspürte erstmals wirkliches Rennfieber.
Die Abkühlung folgte alsbald auf dem Fuße, denn unterwegs, als ich gerade mit allen
"Sachen", die überhaupt "drin" waren, über die "Rennstrecke" fegte, riss der Riemen.
Ich habe ihn schließlich mit einem schnell zurecht gebogenen Nagel notdürftig
geflickt und bin wesentlich langsamer, und in Erwartung des drohenden brüderlichen
Unheils, nicht ganz mit reinem Gewissen, nach Hause gefahren.
"Interessierte sich denn Ihr Bruder auch für Rennen, oder stand er sportlichen
Dingen verständnislos gegenüber?"
- O nein, mein Bruder Wilhelm fuhr damals schon auf kleineren Rennen mit und
benützte dabei ebenfalls eine NSU Zweizylinder-Maschine, die nach Planet-Getiebe hatte.
Überhaupt sind wir ja in der kraftfahrsportlichen Atmosphäre aufgewachsen, denn schon
mein Vater hatte ein Fahrrad- und Motorradgeschäft und verkaufte nebenbei auch hin
und wieder ein Auto.
"Glaubten Sie nun, Herr Geiss, schon bereits damals an Ihre Zukunft als Rennfahrer,
oder hatten Sie bzw. Ihr Herr Vater andere Pläne?"
- Doch, doch ich war gleich vom ersten Augenblick an vom Sport eingefangen, aber
mein Bruder Wilhelm redete mir dauernd und konsequent dagegen. So entstand in mir der
Plan, meinem Bruder Richard nachzufolgen, der in Minneapolis in USA wohnte und mir
damals, es war im Jahre 1921, eine gute Stelle in Amerika anbot.
Als jedoch mein Bruder und "Betreuer" Wilhelm davon erfuhr, ließt er mich nicht
wegfahren, obwohl ich die Schiffskarte schon in der Tasche hatte. Als er sah, dass
alle seine Bemühungen vergeblich waren, spielte er seinen letzten Trumpf aus, der
unbedingt stach: "Übrigens, Arthur", sagte er, "du kannst meinetwegen auch Rennen
fahren. Ich will dir sogar meine NSU Maschine dafür zur Verfügung stellen!"
"
"Aha, jetzt hatte er die Katze im Sack!"
- Richtig, das zog bei mir! Ich sandte die Schiffskarte zurück und blieb hier,
einen Entschluss, den ich bis heute auch nicht zu bereuen brauchte.
Mein erstes Rennen auf der vom Bruder zur Verfügung gestellten NSU bestritt ich 1923.
Es war, ich erinnere mich daran noch sehr gut, ein Bergrennen in Pforzheim. Ich wurde
damals von meinem Bruder gemanagt und endete als Fünfter. Die erste Plakette aus dem
überfüllten Schränckchen, das Sie hier sehen (dabei deutete er auf eine mit kostbaren
Preisen angefüllte Vitrine) war gewonnen.
"Und wann siegten Sie zum ersten Mal?"
- Das war, glaube ich, 1924, auf einem Rundstreckenrennen in Schliersheim, das vom
Heidelberger MC veranstaltet wurde. Dabei darf man sich, das wissen Sie ja, nicht ein
Rennen im heutigen Stil darunter vorstellen. Die ganze Geschichte fand damals mehr
geheim statt und die benutzten Straßen waren dabei keineswegs für den öffentlichen
Verkehr gesperrt. Trotzdem war es sehr schön; nur mein Bruder meinte, ich sei für
eine schwere Maschine doch zu leicht und würde ein leichteres Rad bestimmt erfolgreicher
über die Strecke bringen.
"Bekamen Sie denn gleich eine solche, für Ihr geringes Körpergewicht passende
Maschine?"
- Ja, es dauerte nicht allzu lange, schon ein Jahr später, wurde ich von dem
damaligen DKW-Vertreter Löw in Karlsruhe angerufen und gefragt, ob ich Lust hätte die
Deutschlandfahrt für DKW mitzufahren.
Und ob ich Lust hatte!
Ich war natürlich sofort dabei und hatte gleich einen vollen Erfolg. Ich kam völlig
strafpunktfrei als einziger DKW-Fahrer über die Strecke. In derselben Prüfung hatte
übrigens damals unser Toni Bauhofer auf BMW vier Strafpunkt eingeheimst.
Für mich als blutigen Anfänger war es also ein großartiger Beginn und ich nahm
nun an, dass sich DKW postwendend für mich interessieren und mir in aller Kürze einen
ausgezeichneten Vertrag zur gefälligen Unterschrift zusenden würde.
Aber nichts dergleichen geschah. Aus Zschopau rührte sich niemand, man reagierte
überhaupt nicht auf meinen großen DKW-Erfolg in einer so bedeutenden Veranstaltung.
Das ärgerte mich!
Ich habe damals die Maschine sofort verkauft, weil mir dafür ein hervorragender Preis
geboten wurde. Mit dem Erlös der Siegermaschine kaufte ich mir eine wassergekühlte,
obengesteuerte 175 ccm Wimmer, mit der ich dann gegen die Zschopauer ins Feld zu
ziehen gedachte.
"Dann kam es wohl oft zu Maschinenwechsel?"
- Ja, ich fuhr dann einmal eine ausgesprochen spritzige Maschine, eine
Einzylinder 350 ccm Zweitakt Garelli, die mir sehr zusagte. Die Garelli wurde von
einer Einhalbliter NSU abgelöst, die mir die NSU-Werke zur Verfügung stellten und
die damals immerhin ihre 110 Sachen lief. Ich merkte aber bald, was ich schon vorhin
erwähnte, dass ich diese schweren Maschinen, weil ich nun eben ein kleiner Mann bin,
nicht recht halten und infolgedessen auch nicht so beherrschen konnte, wie es
eigentlich nötig gewesen wäre. Ich wechselte deshalb diesen für mich schweren
Brocken wieder mit einer luftgekühlten 175 ccm DKW mit der ich auf einem Rennen
in Karlsruhe prompt wieder Erster wurde.
"So war also DKW eine ausgesprochene Glücksmaschine für Sie? Weshalb zog Sie es
dann immer wieder zu anderen Marken hin?
- O, nein, mich zog gar nichts . Ich habe mich gerade auf den schnellen leichten
Zweitaktern aus Zschopau immer besonders wohl gefühlt, nur konnte ich nicht begreifen,
dass mir die Firma Rasmussen damals keine Gegenliebe entgegenbrachte.
"Ja, wenn ich mich recht erinnere, fingen Sie 1926 offiziell bei DKW an?"
- Stimmt, damals endlich brach das Eis. Man stellte mir eine wassergekühlte
Rennmaschine zur Verfügung, mit der ich gleich beim ersten Start auf dem Feldberg diesen
"herrlich" versilberten Schwan, den Sie hier sehen, gewann. Aber erst ein Jahr später
wurde ich offiziell in die DKW-Mannschaft aufgenommen und fuhr mit einem recht hübschen
Vertrag in der Tasche Große Preise und Rekorde.
"Hübsch, Herr Geiss, was Sie mir da alles aus Ihrer Rennfahrerjugend erzählt
haben. Sie glauben nicht, wie viel Dutzende von Briefen ich im Laufe der letzten
zwei Jahre von jungen Leuten bekommen habe, die mich um Vermittlung einer Stelle
als Rennfahrer geben haben. Die meisten dieser sportbegeisterten jungen Burschen
wissen gar nicht, wie viel Opfer an Geld und Zeit und welche Charakterstärke und
Beharrlichkeit dazu erforderlich ist, über die ersten saueren Jahre hinweg zu kommen.
Im Übrigen, was sagt ihr Bruder Wilhelm später zu Ihren Erfolgen und zu Ihrer
wunderbar-sportlichen Entwicklung?"
- O, der war immer groß bei der Sache: Er hat alle Starts genau registriert und
hat sämtliche Zeitungsausschnitte, die er mit Kritik über meine Rennen bekommen konnte,
sorgfältig gesammelt. Sie können sich denken, dass mein Bruder, der doch mein erster
Lehrmeister war, heute mit allerhand Stolz auf seinen "kleinen" "hinaufsieht".
"Übrigens (mit einem Seitenblick auf die zahlreichen Preise, die aus einer
Vitrine, die mitten in dem hübschen, behaglichen Wohnzimmer steht, herausleuchten)
da haben sich doch allerhand Edelmetalle im Laufe der Jahre bei Ihnen angesammelt.
- Ja ja, das stimmt schon. Fast jedes zweite Stück meiner Ausstattung ist
irgendein Preis, aber der liebste ist und bleibt mir doch meine Standuhr aus
Hockenheim. (Geiss ist bekanntlich Ehrenbürger von Hockenheim) die Sie hier im
Esszimmer sehen und nachher auch hören werden.
Sehr stolz bin ich auch auf das Becherservice des DDAC; denn jeder dieser 12 Becher
bedeutet einen ersten Preis und wenn man alle 12 Becher beieinander hat, belohnt einen
der DDAC mit der dazugehörigen Silberkanne, die nur sehr wenige deutsche Motorsportsleute
besitzen.
"Nun, lieber Herr Geiss, das ist ja wohl sicher; denn Ihre Erfolge lassen sich
ja auch nicht na den Fingern einer Hand abzählen, weshalb sollten es die Becher tun?
Übrigens, wie bereiten Sie sich eigentlich auf ein Rennen vor? Mir ist bekannt,
dass gerade diese Frage eine breite Öffentlichkeit am meisten interessiert. Zur guten
Rennvorbereitung gehört doch wohl in allererster Linie ein sauberes Tuning der
Maschine?"
- Ganz ohne Zweifel! Unsere DKW-Rennmaschinen werden regelmäßig im Werk Zschopau
überprüft und dort instand gehalten, aber die letzten Feinheiten, etwa die Einstellung
der Ölung oder des Vergasers, auch die Wahl einer bestimmten Übersetzung und was es da
noch alles zu "bauen" gibt, das besorge ich selbst.
"Und das Training? Verfolgen Sie dabei − freien wir einmal Rundstreckenrennen
heraus − eine bestimmte Methode oder variieren sie Ihr Training je nach der Strecke?"
- Eigentlich beides. Meine Trainingsmethode mit meiner kleiner DKW, deren Erfolge
so leicht nicht zu überbieten sein werden, lässt sich durchaus auf eine Formel
bringen:
Vor allem wichtig ist die Geschwindigkeit in der Kurve, die ständig zu steigern ist.
In jeder Trainingsrunde sehe ich zu, wie ich gerade in der Kurve von Rund zu Runde
immer schneller und schneller werde, bis an die Grenze dessen, wo mir ein sicheres
Gefühl sagt: "Stopp, Arthur."
Man sagt, ich sei ein erstklassiger Kurventechniker, und man meint damit doch
eigentlich nur, dass ich mit meiner Maschine so verwachsen bin, wie es eigentlich
jeder Rennfahrer sein müsste. Die durch ausgefeiltes Studium der Kurven gewonnene
Zeit erspare ich mir wieder auf der Geraden; denn gerade da ist es ein Leichtes,
eine Maschine zu Tode zu hetzen, wenn man sich nicht in aller ümäßigt.
Übrigens fällt mir da ein, Herr Wanderer, dass Sie sich kürzlich einmal in der
"Deutschen Sport-Illustrierten" recht skeptisch über den sportlichen Wert der
Bergrennen ausgelassen haben.
"O, das will ich nicht sagen. Ich habe nur von vornherein Stellung dagegen genommen,
dass man die Bergrennen mit den Rundstreckenrennen in der Deutschen Meisterschaft
auf dieselbe Stufe der Wertung gestellt hat."
- Ja, das meine ich auch, und gerade deshalb, weil ich auch auf Bergrennen
reichlich erfolgreich war, darf ich mir erlauben, hierüber zu reden, ohne mit dem
Fuchs verglichen zu werden, dem die Trauben zu hoch hängen. Bergrennen sind eine
schöne sportliche und erregende Angelegenheit, aber sie beweisen weder die Qualität
einer Maschine noch die Qualität eines Fahrers so einwandfrei, wie etwa ein
Rundstreckenrennen, das ganz andere Anforderungen stellt.
"Da Sie gerade von "Anstrengung" sprechen, welches halten Sie eigentlich für
die anstrengendste motorradsportliche Prüfung?"
- Ganz ohne Zweifel die Sechstagefahrt! Ich habe gerade bei der letzten
Sechstagefahrt, wo ich mit meinem Freund Walfried Winkler und unserem tüchtigen
Kluge zusammen die Silbervase für DKW holte, und wo wir alle drei völlig strafpunktfrei
blieben, etliche Pfund abgenommen. Das können Sie mir glauben. Man darf dabei eben
nur sehr wenig essen und die körperlichen und geistigen Anspannungen sind weit über
normal. Meine Frau hat 14 tage zu tun gehabt, um mich durch anständiges und kräftiges
Essen wieder einigermaßen in gute sportliche Form zu bringen.
"Also Sie, liebe Frau Geiss, sind auch mit an den Erfolgen Ihres Mannes
beteiligt! (Der Verfasser wendet sich an Frau Geiss, die die gemütliche Tischrunde
durch ihre Anwesenheit erfreut.)"
- Ja, gewiss, aber lieber wäre es mir, mein Mann würde heute aufhören als
morgen; denn Sie können sich denken, dass es kein Vergnügen für eine Frau ist,
ihren Mann ein halbes Jahr hindurch Sonntag um Sonntag in Lebensgefahr zu wissen.
"Aber Sie halten trotzdem tapfer aus!"
Sagen Sie, Frau Geiss, was tun Sie eigentlich während des Rennens?
- Zumeist bin ich gar nicht mit dort; denn wir haben drei Kinder, die doch die
Mutti brauchen, aber während der Radioübertragung aller Rennen bringt mich niemand vom
Apparat weg und es überkommt mich jedes Mal ein banges Gefühl, wenn der Ansager
meinen Mann einige Minuten lang nicht erwähnt hat.
- Am Schlimmsten ist es, wenn es mir aus dem Lautsprecher entgegenruft:"Wo bleibt
Geiss? Geiss kehrt aus der 12. Runde nicht zurück."
"Und nun noch eine Frage, Herr Geiss, ehe Sie wieder an Ihre Stachelbeerbüsche
gehen und ehe sich unser Schoppen seinem Ende zuneigt.
Welches deutsche Rennen fahren Sie eigentlich am Liebsten?"
- Nun, da brauche ich nicht lange zu fackeln, denn da stehen drei Rennen, jedes
mit seinen eigenen Reizen weitaus an vorderster Front: Der Große Preis bei
Hohenstein-Ernstthal, das Schleizer Dreieck und die Solitude.
"Und was sagen Ihre Hockenheimer Mitbürger dazu, dass Sie Hockenheim übersehen?"
- Die trösten sich damit, dass mir jeder einzelne Hockenheimer lieber ist als
alle Rennstrecken der Welt.
Und so schließen wir mit dem Schlagwort des Stuttgarter Faschings: "Aha!"
Wanderer, Wolfgang; 1936
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